Russland: Tödliche Schlamperei in der U-Boot-Flotte (2024)

RusslandTödliche Schlamperei in der U-Boot-Flotte

Umweltschützer schlagen Alarm: Sollte das jüngst untergegangene russische Atom-U-Boot K 159 nicht gehoben werden, könnte es die Barentsee radioaktiv verseuchen. Doch die K 159 ist nicht das einzige Gefahr bringende Wrack auf dem Meeresboden. Weitere 70 Atom-U-Boote dümpeln entlang der Kola-Halbinsel und warten auf Demontage.

VonFritjof Meyer

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Klar, er ist unerhört lernfähig, der Präsident von Russland. Diesmal warWladimir Putin viel besser vorbereitet als beim Untergang des Atom-U-Boots "Kursk"vor drei Jahren im August. Auch damals erwischte ihn die Katastrophe imUrlaub. Im Freizeitdress wagte er sich erst nach vier Tagen vor dieFernsehkamera, und das war schon ein Fortschritt: Nach dem Unglück vonTschernobyl hatte der so reformfreudige Michail Gorbatschow noch neunTage gebraucht, um sich der Öffentlichkeit zu stellen.

Dieses Mal war alles nicht ganz so dramatisch, auch wenn das Desastererneut ein Atom-U-Boot traf, gleichfalls in der Barent-See und wiederin der Ferienzeit. Das Boot K 159 war schon ausgemustert, 40 Jahrealt, wurde mit vier Pontons über Wasser gehalten und zur Verschrottungabgeschleppt, als es in stürmischer See unterging. Neun Matrosen starbenan Bord. In der "Kursk" fanden 118 Seeleute den Tod.

Gewarnt von seiner "Kursk"-Kondolation im T-Shirt, hatte Putin diesesMal einen schwarzen Anzug samt schwarzem Schlips im Urlaubsgepäck. Vorder Fernsehkamera sprach er traurigen Gesichts von einer "Tragödie",sein Verteidigungsminister Iwanow aber von "Leichtsinn". Denn entgegenden Vorschriften hatten sich Menschen an Bord des fahrunfähigen Bootesbefunden, die Luken waren nicht verschweißt.

Die seit dem Ende des Sowjetsystems vervielfachte Schlamperei erlaubteine Parallele zwischen beiden Unglücksfällen. Nach vielen Falschangabenüber die Ursache ist die "Kursk" offiziell deshalb gesunken, weil dasTreibmittel eines Torpedos, hochgefährlicher Wasserstoff, ausgetretenwar und detonierte. Der US-Experte Zoltan Barany, Professor inAustin/Texas, hat gerade eben die wahren Gründe für das Ende der "Kursk"vorgelegt: Generelle, vor allem finanzielle Vernachlässigung derStreitkräfte durch die Regierung, schlechte Moral und ungenügendeProfessionalität von Soldaten und Offizieren.

In fünf Dienstjahren hatte die "Kursk" nur einmal eine Missionvollständig ausgeführt, weil das Geld für den Treibstoff fehlte. VieleBesatzungsangehörige einschließlich der Vorgesetzten waren selten odernoch nie auf hoher See gewesen. Mit den zwei Dutzend scharfen Torpedosan Bord fanden die meisten nie Gelegenheit zu üben, und keiner mit demneuen Wasserstoff-Torpedo. Das Logbuch war gefälscht, genauso wie beidem Atom-U-Boot "Komsomolsk", das 1989 unterging.

Einer der Torpedos war auf dem Transport zu Boden gefallen, wobei Risseentstanden sein können; er wurde dennoch geladen. Er konnte nämlichnicht mehr wieder hochgehievt werden, weil die Kräne auf demU-Boot-Stützpunkt Polarnoje - wohin jetzt auch K 159 gebracht werdensollte - seit langem nicht mehr in Betrieb waren. Seit 1999 erbat dieMarine erfolglos von der Regierung eine Reparatur der Hafenanlagen.

Inspektoren prüften die "Kursk"-Torpedos im Jahre 2000 und im nächstenJahr. Sie stießen auf Rost sowie Risse in den Gummidichtungen, so dassder Wasserstoff austreten konnte. Die Besatzung hatte zudem dieRettungsboje der "Kursk" außer Betrieb gesetzt, damit sie nicht vonselbst los ging. In den falsch gewarteten Unterwasser-Rettungsfahrzeugensteckten untaugliche Batterien, die ausgeschaltet werden mussten.

Bei Einhalten der Vorschriften hätte die "Kursk", deren Explosion vonseismologischen Stationen exakt registriert worden war, in weniger alseiner Stunde geortet werden können. Das ermittelte die russischeStaatsanwaltschaft. Das Wrack wurde erst nach 31 Stunden gefunden, derganze Vorfall 50 Stunden lang geheim gehalten. Dann umschrieb dieMarineleitung den Untergang, das Boot sei "auf den Meeresbodengetaucht", hieß es. Der Funkkontakt war längst abgerissen, doch man blieb immernoch untätig, weil das Flottenkommando davon ausging, dass die Geräteüblicherweise versagen.

Beschädigte Torpedos an Bord seien nichts Ungewöhnliches, sagt AdolfMewschujew. Der ehemalige Marineoffizier leitet das Russische Zentrumzur Erforschung von Explosionswiderstand. Er nennt den Grund für dieGewöhnung an die missliche Situation: "Traditionelle russischeSchlamperei."

Bleibt K 159 am Meeresboden, könnte es die Barentsee radioaktivverseuchen, warnen Umweltschützer aus Russland und aus Norwegen: Wennseine beiden 1989 abgeschalteten Reaktoren undicht sind. Das Wrack liegteinen Viertelkilometer tief nahe der Insel Kildin, an der eineSchifffahrtstraße vorbeiführt. Die "Komsomolsk" ruht weiterhin bei derBären-Insel vor Norwegen und seit 1970 auch das Boot K 8 in der Biskaya.70 weitere Atom-U-Boote außer Dienst dümpeln entlang der Kola-Halbinselund warten auf die Demontage. Ständig zugeführte Pressluft hält sie überWasser.

Die "Kursk" wurde voriges Jahr aus 100 Meter Tiefe gehoben undauseinander genommen. Das Boot K 159 soll auch gehoben werden, kündigtePutin an. Diesmal versäumte er die Gelegenheit, wie damals bei der"Kursk" nicht die säumigen Admirale, sondern die lästigen investigativenJournalisten anzuklagen, vor allem aber die Medieneigentümer - dieOligarchen mit ihren "Villen in Spanien und Südfrankreich": Er befandsich auf Sardinien - auf Einladung seines Wahlverwandten Silvio Berlusconi, desrechtsgewirkten Premier Italiens.

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